Apfel und Ei ////// Metapher und Ökonomie

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all pictures by Benjamin Thomas

appel und ei

Partizipatorische Aktion Verzehrbare Aneignung von sich widersprechenden Wertesystemen

Ein Clash von Mythologie, ökonomischen Prinzipien und politischen Symbolisierungen –

Ist es möglich, ein Vexierbild gleichzeitig von allen Seiten denk- und erfahrbar zu machen?

Zum Beispiel die bekannte Zeichnung von der Braut und der Schwiegermutter. Sehe ich eine alte oder eine junge Frau? Kann ich beide sehen? Gleichzeitig?

Was geht da in unseren Köpfen vor? Wenn es stimmt, dass ich nur das wahrnehmen kann, was mit mir in Verbindung steht und mir bekannt ist: was geschieht, wenn ich versuche, auf zwei Weisen zu schauen, ohne zu relativieren oder einer Weise den Vorzug zu geben?

Je nachdem, wie ich die Schwünge und Flächen identifiziere, sehe ich entweder eine abgewendete, jedoch erkennbar schöne und junge Frau (die sehen übrigens ca. 83% als erste) oder aber die feine Linie des Kiefers wird zur großen klobigen Nase und das zarte Öhrchen zum wässrigen Auge.

Ich habe lange geübt, um beide Bilder gleichzeitig zu fokussieren.

Mich interessiert die entstehende Lücke im Sichtfeld. Wenn ich diese Lücke fixiere, wird meine Sicht auf die Dinge, meine Position als Schauende unscharf.

 Äpfel und Eier

Der 2. Sächsische Fachtag Bildende Kunst forderte das (semi-)öffentliche Befragen des Wertes künstlerischer „Leistung“, im gesellschaftlich-moralischen wie auch im unternehmerischen Sinn.

Ich wurde gefragt ob ich nicht etwas zum Mittagessen machen möchte, da ich schon an anderer Stelle die Tätigkeit des Kochens und Essens als künstlerische Tätigkeit thematisiert habe.

Nach Peter Kubelka ist Kochen die älteste Form der bildenden Künste. Beim Kochen werden Metaphern (griech. Übertragung) verwendet und dabei neue „Bilder“ geschaffen. Jede einzelne Ingredienz einer Speise erzählt die Geschichte ihrer Herkunft sowie von der Identität und dem Handlungsbereich desjenigen, der ihrer habhaft werden konnte. Die einzelnen Zutaten bringen zusammen, was von einander entfernt ist: Meer und Land (Fischstäbchen) oder Wald und Wiese (Pizza Funghi). So entsteht ein Werk auf meinem Teller, das auch einen utopischen Charakter hat.

Klar, dachte ich, dann gibt es Apfel und Ei!

Das Ei steht für Fruchtbarkeit und reines Potential, ist sprichwörtlich Symbol des Einfallsreichtums und der unlösbaren Probleme. Spätestens seit Piero Manzoni in einer Ausstellung hunderte Eier gekocht, mit seinem Daumenabdruck versehen und verteilt hat, wurde das Ei auch zu einem Sujet der Bildkunst.

Der Apfel ist Symbol der Jugend, der Erkenntnis und des Herrschaftsanspruchs. 

Symbolisch gesehen weisen Ei und Apfel auf ranghohe Güter in unserer menschlichen Gemeinschaft hin.

Gleichzeitig sind beide Begriffe, im ökonomischen Zusammenhang genannt, Ausdruck des geringsten Wertes (in der Güterhierarchie gesehen kurz vor dem Müll). Im besten Fall stehen sie für eine billige Erwerbung, weil beispielsweise jemand etwas aus Not weit unter Wert veräußern musste (wie ein noch unbekannter Künstler beim Anbieten seiner Werke).

Wenn diese unterschiedlichen Bedeutungsebenen wie in einem Vexierbild aufeinandertreffen: wie generiere ich dann in der entstehenden Unschärfe einen Wert?

 Mehrwert und Kunstkoeffizient

Ich fing an, mich nach Betrachtungen zur Wertbildung umzusehen. Um bei der oben angesprochenen Schere der Bedeutungen zu bleiben, suchte ich nach einer ökonomischen und einer künstlerischen Perspektive.

So betrachtet Marx im „Kapital“, Abschnitt 3: Über die Produktion vom absoluten Mehrwertden Produktionsprozess als Wertbildungsprozess. Bei Marx’ Betrachtung handelte es sich zwar um das Denken zum Wert / Gebrauchswert eines Tuns und nicht um Dinge „qu`on aime pour lui-même“. Dennoch finden sich auch hier, im Kubelka`schen Sinne, Metaphern, wenn zum Beispiel, in zehn Pfund Garn „zwei Arbeitstage vergegenständlichtsind.

Der Kapitalist (im folgenden K) -laut Marx- will nicht nur Gebrauchswert, sondern Wert, und nicht nur Wert, sondern Mehrwert erzeugen. „Indem der K Geld in Waren verwandelt, die als Rohmaterial eines neuen Produktes dienen, indem er ihrer toten Gegenständlichkeit die lebendige Arbeitskraft des Arbeiters (im folgenden A) einverleibt, verwandelt er Wert, vergangene, vergegenständlichte, tote Arbeit in Kapital, sich selbst verwertender Wert, ein beseeltes Ungeheuer, das zu arbeiten beginnt als hätte es Lieb im Leibe“

So entsteht Besitztum / Vermögen nach Marx durch eine Umwandlung von einem Gebrauchswert in einen Mehrwert. Der entsteht, wenn die einfache Tätigkeit über einen gewissen Punkt hinaus verlängert wird, und zwar durch einen quantitativen Überschuss an Arbeit über die bloße Notwendigkeit hinaus. 

Hier zeigt sich das „Surplus“, als ein quantitatives Plus, welches der A miteinbringt und das abgeschöpft und daraufhin selbst produktiv (auf unheimliche weise lebendig) werden kann.

Dagegen las ich bei Marcel Duchamp, in seiner Rede “The Creative Act“ über die Entstehung des „Kunst-Koeffizienten“3Duchamp geht von einem solchen insofern aus, dass es dieser ermöglicht, ein Kunstwerk immer als Kunstwerk zu erkennen, unabhängig davon, ob man es für gut, schlecht oder mittelmäßig hält.

Auch dieser Koeffizient ist das Ergebnis einer Umwandlung, die ein Werk ausgehend von den Plänen des Künstlers (im Folgenden K) bis zu deren tatsächlicher Realisation erfährt.

Allerdings durch ein Fehlen, es klafft „a gap“ zwischen der Intention des K und dem Ergebnis. Dies ist ein Bereich, der sich der Kontrolle und Voraussicht des K entzieht.

Dieser Koeffizient existiert auch im Stadium eines Rohmaterials „a l`etat brut“, wird aber erst durch die Verlängerung auf den beteiligten Blick des Betrachers (im folgenden B), auch über die Zeitlinie des K hinaus, zu seinem vollen Wert heranwachsen.

Hier ist das „Surplus“ anfänglich ein Minus, an Bewusstsein oder Kontrolle, welches sich erst durch das Plus – mitgebracht vom B. – zeigt.

Mich verblüffte, dass sich, wenn ich diese beiden Texte gegeneinander lese, trotzdem Gemeinsamkeiten zeigen. Beide erwähnen das anfängliche Rohmaterial, die Umwandlung dessen und dann die Verlängerung in einen anderen Bereich. Bei Marx hinaus aus dem Notwendigen in den Überfluss, und bei Duchamp über das Denken des Künstlers hinaus in den Raum, die Zeit und in den Bereich des Anderen.

Ich glaube, dass sich diese Begriffe so ähneln, liegt daran, dass sich beide bemühen, die Entstehung eines Wertes zu beschreiben, und dabei feststellen: zu seinem Entstehen braucht ein Wert immer eine Korrelation, eine Beziehung zwischen den beiden Bedeutungen eines Vexierbildes.

K + A / K + B ≈ ♥

K / K + A / B ≈ ♥

Welche Beziehung besteht dann also zwischen der symbolischen und der wirtschaftlichen Bedeutung von Äpfeln und Eiern? Wer stellt die Korrelation her?

Mein Bourgois-Ich? Mein Citoyen-Ich? Mein Privat- oder mein Zeitzeugen-Ich? Mein intuitives Ich oder das, was aus allem brav gelernt hat? Das verantwortungsvolle oder das geheime Ich? Mein Ich als Frau und Mutter, als Hartz IV-Empfängerin, als Künstlerin…? Wenn, dann stellen alle gemeinsam die Geltung her – wie alle Bedeutungen eines Vexierbildes gleichzeitig. Nur muss ich sie dafür auch erkennen können. Und vielleicht muss ich anderes Werkzeug entwickeln, das in einer solchen prismatischen Situation präzise sein kann.

Dez. 2013

Julianne Csapo

1Karl Marx, Das Kapital, Die Produktion des absoluten Mehrwerts, online: http://archive.org/stream/KarlMarxDasKapitalpdf/KAPITAL1_djvu.txt

2Ebd.

3Marcel Duchamp, The Creative Act, Session on the creative act, convention of the American Federation of Arts, Huston Texas, 1957; online: http://www.cathystone.com/Duchamp_Creative%20Act.pdf